Vergeblicher Kampf um die Burg

Lediglich drei Menschen sollen Schuld sein am Burgtheaterskandal: Matthias Hartmann, Silvia Stantejsky und Georg Springer. Die Politik ist fein raus. Ein Lehrstück darüber, dass man nur mit ihr gewinnen kann – und nicht gegen sie. In der “Standard“-Wochenendausgabe vom 20./21. September 2014 erschien eine Zusammenfassung der Ereignisse, die nun fortlaufend ergänzt und erweitert wird.

NACHERZÄHLUNG: Thomas Trenkler

 

Prolog: Schatten seiner selbst

Das Frühjahr zog ins Land. Er wollte nicht mehr rauchen – und rauchte. Er kippte den Wein glasweise. Das Ensemble hatte ihm, dem Burgtheaterdirektor, das Misstrauen ausgesprochen. Er verstand die Welt nicht mehr. Er kämpfte um sein Überleben. Wenige Tage später wurde er gefeuert. Matthias Hartmann war ein Schatten seiner selbst.

Kapitel 1: Trumpf im Ärmel

Es geht um knapp zwei Millionen Euro. So viel will Hartmann, weil man ihn, wie er meint, am 11. März zu Unrecht entlassen hatte. Seine Anwälte sagen, er sei „mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt“ worden. Und wenn es um zwei Millionen geht, dann liegen nicht nur Nerven blank: Dann darf man nicht zimperlich sein in der Wahl der Mittel. Im Vorfeld des Prozesses, der am 24. und 25. September am Wiener Arbeits- und Sozialgericht in seine heiße Phase geht, dient sich Hartmann dem Feuilleton an: Er lässt den Journalisten Informationen zukommen, er gibt große Interviews, er heizt die Stimmung an. Warum? Weil er meint, die Richterin beeindrucken zu können?

Immer wieder spielt er seine Trümpfe aus. Einer dieser Trümpfe ist ein Brief. Keine Frage: ein verhängnisvoller Brief. Er datiert vom 30. Juni 2008, geschrieben und unterfertigt von Georg Springer. Der Chef der Bundestheaterholding wiederholt in diesem, was schon kurz nach der Designierung von Hartmann 2006 vereinbart worden war: In dessen ersten im Geschäftsjahr würden „keine Verlustvorträge aus Vorjahren zu übernehmen sein“. Hätte Springer diese Erklärung nicht abgegeben, hätte Hartmann sofort aus seinem Vertrag aussteigen können – und ein Jahresgehalt ausgezahlt bekommen. Aber Springer bestätigte. Das große Unternehmen Burgtheater konnte im September 2009 mit „Faust“ beginnen.

Kapitel 2: Die schwarze Null

Nun aber, fünf Jahre später, fühlt sich Hartmann hinters Licht geführt. Denn mitnichten hat er damals ein Haus mit „schwarzer Null“ übernommen. Bereits am 13. Juni 2008 wurde dem Aufsichtsrat mitgeteilt, dass für die Saison 2008/09, die letzte von Klaus Bachler, mit einem Defizit in der Höhe von 4,4 Millionen Euro zu rechnen sei. Der Aufsichtsrat konnte das Budget nicht beschließen, das Burgtheater wurde angewiesen, bis Oktober einen ausgeglichenen Finanzplan zu erstellen: „Die 4,4 Millionen Euro müssen verschwinden – wie, ist dem Aufsichtsrat wurscht.” Das sagte Springer, der als Holdingchef auch dem Burgtheateraufsichtsrat vorstand.

4,4 Millionen müssen verschwinden. Wie macht man das? Man kann Schauspieler entlassen. Man kann Produktionen streichen. Man kann Spielstätten schließen. Man kann den kulturpolitischen Auftrag ignorieren. Man kann vieles, man kann auch tricksen. Man kann zum Beispiel höhere Einnahmen prognostizieren und Werte erfinden. Das drohende Defizit verschwand jedenfalls – nicht nur im Budgetplan:

Die Gewinn- und Verlustrechnung für das Geschäftsjahr 2008/09 wies exakt die „schwarze Null“ aus, die Hartmann versprochen worden war. Doch die Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten hatten sich im Vergleich zu 2007/08 von 1,72 auf 5,17 Millionen Euro verdreifacht.

Kapitel 3: Das Premierenfeuerwerk

Peter F. Raddatz, ein Berater von Hartmann, vertritt nun, in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“, die Meinung, dass die Burg damals „schon komplett überschuldet war“. Das war sie definitiv nicht. Denn zum Bilanzstichtag, dem 31. August, müssen die bereits lukrierten Einnahmen aus dem Verkauf von Abonnements als Schulden verbucht sein: Diese werden erst im Laufe der Saison in Form von Vorstellungen abgearbeitet. Verbindlichkeiten in der Höhe von etwa vier Millionen Euro sind daher logisch – und alles andere als bedenklich. Hinzu kommt, dass Hartmann das Budget in seinem Vorbereitungsjahr überstrapaziert hatte: Die Produktionskosten für sein Premierenfeuerwerk fielen ja nicht erst im Septmber 2009 an, sondern schon in Bachlers letztem Jahr. Wenn die Burg also „schon damals komplett überschuldet“ gewesen sein sollte: Dann hatte Hartmann eine Mitschuld.

Und dem neuen Direktor muss die Situation eigentlich bekannt gewesen sein. Denn die Bilanz für die Saison 2008/2009 trägt nicht nur die Unterschrift von Silvia Stantejsky, der damaligen kaufmännischen Geschäftsführerin, sondern auch jene von Hartmann. Warum? Weil sich Bachler als Operndirektor nach München abgesetzt hatte und daher nicht greifbar war? Weil Hartmann genötigt wurde? Bisher ist kein Dokument aufgetaucht, in dem Hartmann festhält, die Bilanz gegen seinen Willen abgesegnet zu haben. Er erklärte sich vielmehr mit der „schwarzen Null“ einverstanden. Und diese Unterschrift ist nun ein Trumpf – der Gegenseite.

Kapitel 4: Die Zitterpartie

Die finanzielle Situation war generell alles andere als rosig: Jahr für Jahr stiegen die Personalkosten, aber die Basisabgeltung blieb mehr oder weniger gedeckelt. Perfiderweise war die Politik für beide Faktoren verantwortlich: Sie verhandelte die Gehaltserhöhungen für die Beamten, die sich fast eins zu eins auf die Bundestheater auswirkten – und sie verweigerte gleichzeitig eine Indexanpassung.

Im Burgtheater wusste man Bescheid. Silvia Stantejsky bezifferte bereits im April 2008, als sie zur kaufmännischen Geschäftsführerin bestellt wurde, den zusätzlichen Bedarf mit 3 bis 3,5 Millionen Euro. Zudem müsse die Inflation abgegolten werden: „Dann kommen wir auf lange Sicht aus. Wenn nicht, bleibt es Jahr für Jahr eine Zitterpartie.“

Auch Karin Bergmann hatte Zweifel. Sie war einst mit Claus Peymann ans Burgtheater gekommen – zunächst als Pressesprecherin. Später war sie die rechte Hand von Klaus Bachler; in dessen letzten Jahr, als er schon mehr in München als in Wien weilte, schupfte sie den Laden – Bachler bedankte sich mit einer Schenkung von 32.400 Euro. Bergmann wollte auch für einen reibungslosen Übergang in der Direktion sorgen und sich nach den ersten zwei Hartmann-Saisonen zurückziehen.

Mehrfach will sie darauf hingewiesen haben, dass sich all dies, was der neue Chef wollte, finanziell nicht realisieren lasse. Aber Hartmann hörte nicht hin: Er etablierte die Junge Burg, mit deren Leitung er seine Schwester und seinen Schwager beauftragte. Und er holte die Truppe von Jan Lauwers, die Needcompany, als Artists in Residents ans Haus.

Entgegen ihren Plänen ging Bergmann bereits nach einem Jahr in Pension: Wenn man merke, dass man auf taube Ohren stoße, sagte sie, „dann geht man besser“ – wenn auch „schweren Herzens“. Sie war auch von Silvia Stantejsky enttäuscht, die, Bergmanns Meinung nach, zu willfährig agierte: Die Geschäftsführerin habe versucht, alle Wünsche von Hartmann zu erfüllen, statt ihm Einhalt zu gebieten. Im Burgtheater war man von Bergmann enttäuscht: „Jetzt, in dieser schwierigen Situation, lässt sie uns im Stich.“ Denn Hartmann drohte gerne mit Rausschmissen, drückte sich vor Gesprächen: „Er war immer auf seinen Proben.“ Bergmann aber hatte sich um die interne Kommunikation und ein erträgliches Betriebsklima gekümmert.

Kapitel 5: Die Blase

Sie zog sich 2010 still zurück. Wenig später stand Hartmann vor einem veritablem Problem: Er kam nicht mit dem Budget aus, obwohl er die Verträge etlicher Ensemblemitglieder nicht verlängert, zudem die Auslastung und damit die Einnahmen gesteigert hatte. Denn die Auslastungssteigerung war zu teuer erkauft worden – über die erheblich gestiegene Zahl der Produktionen. Im Durchschnitt sanken zwar die Kosten, weil es viele kleinere Inszenierungen gab, aber addiert erreichten sie Höchststände. Und auch bei den Kosten für die Darsteller wurde nicht viel eingespart: Erstens, weil die Hartmann-Freunde äußerst gut bezahlt wurden, und zweitens, weil man mehr Gäste als in den Jahren zuvor verpflichtete.

In der Not wandte Hartmann sich an Peter F. Raddatz, damals Leiter der Berliner Opernstiftung. Im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ sagte der Theater-Ökonom unlängst: „2011 rief mich Matthias Hartmann an und meinte, dass da etwas nicht stimme.“ Raddatz studierte die Bilanzen und begann, Informationen einzuholen. Schließlich wurde ein Grund für das Finanzdebakel offensichtlich: Das Burgtheater ließ, so Raddatz, „die Bühnenbilder der Theaterstücke, die nicht mehr gespielt wurden, als Werte in der Bilanz stehen“ – und hat „sich damit reicher gerechnet, als es war. So wurde der Schuldenberg in die Zukunft verschoben.“ Für Raddatz war klar: „Irgendwann musste diese Blase platzen.“

Hartmann sagt in eben diesem Interview mit der „SZ“, er habe „alles daran gesetzt, Transparenz in dieses Unternehmen zu bringen“. Er stimmte der Aussage zu, dass er, indem er für Aufklärung sorgte, seinen eigenen Untergang selbst eingeleitet habe: Wenn er nichts unternommen hätte, wäre er „wahrscheinlich“ auch heute noch Burgtheaterdirektor.

Kapitel 6: Richtig viel Brisanz

Doch Hartmann ist Theatermacher. Er arbeitet wie ein Magier: Weil er den Blick auf einen hellen Punkt lenkt, bemerkt das Publikum gar nicht, dass währenddessen zum Beispiel die Bühne umgebaut wird. Auch sein Kampf um Rehabilitierung ist mittlerweile eine Inszenierung. Der Blick wird zum Beispiel auf die 4,4 Millionen Euro gelenkt, die im Jahr 2008 egal wie verschwinden mussten; dass der Jahresfehlbetrag 2012/13, also nach nur vier Saisonen, unglaubliche 20,64 Millionen ausmachte: Das erwähnt er nicht.

Und es war auch nicht Hartmann, der für „Transparenz“ sorgte. Im Auftrag des Kulturministeriums führte das Beratungsunternehmen Ernst & Young ab dem April 2010 in allen Bundestheatern, daher auch in der Burg, eine Effizienzanalyse durch. Die Wirtschaftsprüfer stellten viele, sehr viele unangenehme Fragen. Hartmann kam ordentlich ins Schwitzen. Er wusste sich schließlich nicht mehr zu helfen. Und so wandte er sich eben an Raddatz, den zu seinem „persönlichen Berater“ wurde.

Raddatz begann noch im Jänner 2011, sich ein Bild der Lage zu verschaffen. Am 5. April 2011 bestätigt er in einem E-Mail an Othmar Stoss, den Stellvertreter von Springer, dass er die angeforderten Endberichte von Ernst & Young auf dem Postweg erhalten hat: „Die sind ja wirklich extrem ,geglättet‘ worden und so richtig viel Brisanz steckt da ja nicht mehr drinnen!“ Interessant ist daran zweierlei: Die Berichte wurden jahrelang unter Verschluss gehalten, weil sie angeblich Daten enthielten, die der Konkurrenz dienlich seien. Raddatz hingegen, der als Chef der Berliner Opernstiftung ein tatsächliches Konkurrenzunternehmen leitete, erhielt sie einfach zugeschickt. Darüber hinaus muss er auch die Entwürfe gekannt haben. Sein E-Mail beweist, was die Journalisten vermuteten: Die Entwürfe waren brisant.

Aber selbst der „geglättete“ Bericht über das Burgtheater erwähnt die Abschreibung von Produktionen auf einen Zeitraum bis zu fünf Jahren. Spätestens ab dem Mai 2011 mussten eigentlich alle Beteiligten – vom Direktor und seinem Berater bis zu den Aufsichtsräten und dem Eigentümervertreter – über diesen „Trick“ Bescheid gewusst haben.

Kapitel 7: Valorisierte Regiehonorare

Hartmann sah aber, wie es scheint, keinen Grund, etwas zu ändern. Und auch die Kulturpolitik erkannte keinen Handlungsbedarf: Am 24. Jänner 2012 verlängerte die damalige Kulturministerin Claudia Schmied den bis 31. August 2014 laufenden Vertrag Hartmanns um weitere fünf Jahre (bis 31. August 2019). Die Verlängerung wurde vom Aufsichtsrat des Burgtheaters unterstützt. Hartmann gab zu Protokoll: „Ich freue mich über das ausgesprochene Vertrauen.“

Und er ließ sich weiter fürstlich entlohnen: Im Gegensatz zur gedeckelten Basisabgeltung wurden seine Regiehonorare valorisiert. In der Saison 2009/10 erhielt er pro Inszenierung 52.500 Euro, 2011/12 waren es 53.400. Und so ging es weiter: 2013/14 bekam er 54.800 Euro – auch für Spatzenproduktionen. Und Hartmann inszenierte viel, im Schnitt vier Stücke pro Saison. Die Regiehonorare wurden aber unter den Tisch fallen gelassen: Auf Anfrage des Rechnungshofes gab man für Hartmann lediglich das Grundgehalt mit 220.900 Euro an. Obwohl aus der Ausfüllhilfe klar hervorgeht, dass die Bruttogesamtsumme (inklusive der Regiehonorare) zu nennen gewesen wäre.

Die finanzielle Situation spitzte sich im Burgtheater weiter zu. Nach einem Telefonat mit dem Aufsichtsratsmitglied Susanne Moser warnte Raddatz den Burgtheaterdirektor am 25. Jänner 2013 in einem E-Mail, dass er vorbereitet sein müsse auf den Vorwurf: „Ihr lebt über Eure Verhältnisse, gebt zu viel Geld aus und produziert zu viel.“ Eine Woche später, am 31. Jänner, warnte Peter seinen Freund Matthias nochmals, dass der Umstand, zu viel produziert zu haben, „gegen Dich verwendet werden“ könne. Karin Bergmann hatte das Problem schon 2010 erkannt gehabt.

Kapitel 8: Godot kommt nicht

Zudem war kurz zuvor die „Blase“ geplatzt. Denn man hatte, wie vorgeschrieben, die Bilanzprüfer gewechselt: Auf PricewaterhouseCoopers folgte KPMG. Und das neue Unternehmen tolerierte nicht die Abschreibung der Produktionen auf bis zu fünf Jahren. Um eine halbwegs passable Bilanz erstellen zu können, musste das Stammkapital um 3,6 Millionen Euro reduziert werden. Das Burgtheater war nun tatsächlich überschuldet.

Es sollen sich dramatische Szenen abgespielt haben. In den Mittelpunkt rückte die kaufmännische Geschäftsführerin Silvia Stantejsky, seit Jahrzehnten die gute Seele des Burgtheaters. Sie wollte die Vorgaben von Springer erfüllen, eben die „schwarze Null“, egal wie sie es anstellt, und zugleich die Wünsche von Hartmann. Das ging nur mit „Tricks“. Und das ging nur mit der Hoffnung auf eine Subventionserhöhung, die von der Politik immer wieder in Aussicht gestellt worden war, aber – wie Godot – nicht kam.

Springer sagte, er hätte nicht gewusst, dass skartierte, also bereits zerstörte Produktionen, aktiviert wurden: „Die Zielvorgabe lautete, dass die Bilanz ausgeglichen zu sein hat. Dass man dann Machloikes macht, dafür kann ich nichts.“ Er tat alles, um die Situation zu beruhigen. „Die Kuh darf nicht aus dem Stall“, soll er gesagt haben. Und dann wurde, weil Stantejskys Vertrag auslief, die kaufmännische Geschäftsführung ausgeschrieben. Springer verbot Stantejsky, sich nochmals zu bewerben.

Hartmann aber wollte sich von seiner treuen „Silvi“ nicht trennen. Zudem befürchtete er wohl einen Aufschrei des Ensembles. Denn Stantejsky war, wie es Klaus Bachler, der Vorgänger von Hartmann, ausdrückte, „die Mutter der Kompanie“. Ende Februar 2013 wurde bekannt gegeben, dass Stantejsky ab 1. September die Stellvertreterin des Direktors sein werde. Warum, fragt man sich, hat Hartmann just jene Person, die ihm nun Probleme machte, geschützt? Und nicht nur geschützt, sondern sogar zur Vizedirektorin befördert? Bekannt ist nur, dass sie dessen damals unversteuerte Vorbereitungshonorare verwaltete.

Kapitel 9: Langsamer Erstickungstod

Im Frühjahr thematisierte Hartmann mehrfach die angespannte Lage. Am 9. April 2013 sagte er im Interview mit der APA, dass dem Haus aufgrund der seit einem Jahrzehnt so gut wie nicht erhöhten Basisabgeltung der „langsame Erstickungstod“ drohe. Fünf Wochen später, am 16. Mai bei der Spielplan-Präsentation für die Saison 2013/14, sagte er: „Der Tag, an dem es nicht mehr geht, ist bereits verstrichen.“

Hartmann wurde zunehmend nervöser. Beim Jubiläumskongress „125 Jahre Haus am Ring“ am 13. Oktober 2013 ging er in die Offensive: „Der Zeitpunkt, an dem das alles nicht mehr finanzierbar ist, der Zeitpunkt, auf den wir immer gewartet haben, ist nicht nur da, er ist unerkannterweise überschritten worden, und es gibt kein Schönreden, kein Aufschieben und keine Tricks, um diesen Zeitpunkt zu kaschieren.“ Es sei „an der Politik zu entscheiden, wie es in der Zukunft auszusehen hat“. Doch die Politik ließ sich den Ball nicht zuschieben. Denn Claudia Schmied hatte sich mit der Nationalratwahl am 29. September 2013 galant zurückgezogen; bis Josef Ostermayer, ihr Nachfolger, offiziell im Amt sein würde, sollte es fünf Monate dauern – bis zum 1. März 2014.

Kapitel 10: Die Macht der Gegner

Im Spätherbst wurde die Bilanz für das Geschäftsjahr 2012/13 erstellt, für das noch Stantejsky verantwortlich war. Im Zuge der Gebarungsprüfung durch die KPMG traten Ungereimtheiten auf. Es gab „deutliche Indizien für gefälschte Belege und die Vorspiegelung falscher Tatsachen“. Auf Druck von Springer suspendierte Hartmann am 11. November seine Stellvertreterin. Eine Woche später wurde der Direktor mehr oder weniger gezwungen, Stantejsky zu entlassen. Es herrschte Einvernehmen, die unangenehme Geschichte zu vertuschen. Erst am 3. Jänner 2014 wurde die Entlassung bekannt – durch einen Bericht in „News“.

Bereits am 7. Jänner stellten sich die Schauspieler auf die Seite der gefeuerten Vizedirektorin: „Die Solidarität des Ensembles gilt Silvia Stantejsky.“ Und am 14. Februar 2014 beschloss die Ensembleversammlung ein Misstrauensvotum gegen Hartmann und Springer. Man könne der bisherigen Darstellung, Stantejsky sei alleine für die finanzielle Misere verantwortlich, keinen Glauben schenken.

Das Misstrauensvotum setzte Hartmann zu. Aber er bestritt weiterhin jede Verantwortung. Er sei der künstlerische Geschäftsführer, sagte er, nicht der kaufmännische. Wozu gebe es eine Aufgabenteilung? Dass er aufgrund des Vieraugenprinzips mitverantwortlich sei, wollte ihm nicht in den Sinn. Er sei es doch gewesen, der Raddatz geholt, der sich um „Transparenz“ bemüht habe. Wenn er mitschuldig sei, dann hätte er all diese Schritte nicht gesetzt. Aber kann es nicht auch Taktik gewesen sein, „Haltet den Dieb!“ zu schreien? Um eben abzulenken? Der Rechnungshof recherchiert derzeit, die Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt, die Gerichte werden die Frage der Mitverantwortung klären.

Springer jedenfalls war mürrisch. Er hatte Hartmann beschworen, keinen Wirbel zu schlagen, jeden Schritt genau zu überlegen. Die Bundestheater gehören dem Staat; und dieser werde sich hüten, das Burgtheater in die Binsen gehen zu lassen. Er, Hartmann, müsse einfach Vertrauen haben, sagte Springer. Er habe ja gar keine Vorstellung davon, was er alles auslöse, wenn er jetzt keine Ruhe gebe. Er solle nicht glauben, seinen Kopf retten zu können: Eher werde er andere mit sich in den Abgrund ziehen. Man müsse immer wissen, wie mächtig die anderen sind.

So oder so ähnlich sprach Georg zu Matthias. Denn eines wusste Springer: Dieses Spiel war nicht gegen die Politik zu gewinnen, nur mit ihr. Doch Hartmann hielt sich nicht daran. Er verübelte Springer, dass er Stantejsky kündigen musste.

Kapitel 11: Schizophrene Situation

Wir müssen nochmals zurück in den November 2013. Hartmann wehrte sich verbissen dagegen, Stantejsky zu entlassen. Er befand sich, wie er es ausdrückte, in einer „schizophrenen Situation“: Weil er als Geschäftsführer eine Handlung setzte, die er als Freund nie gesetzt hätte. Er versuchte sogar, den Schritt rückgängig zu machen. Die Anwälte der Holding konnten ihm nicht helfen: Sie hatten für die Entlassung argumentiert. Hartmann wandte sich daher an Thomas Angermair, der ihm von einem berühmten Künstler empfohlen worden war. Der Anwalt hörte sich das Anliegen an, lehnte den Auftrag aber ab: Er habe schon früher für die Burg und die Holding gearbeitet und wolle das in Zukunft weiter tun. Er könne also, falls es zum juristischen Konflikt zwischen der Burg und dem Direktor komme, Hartmann nicht vertreten.

Als hätte der Teufel seine Hände im Spiel gehabt: Anfang März beauftragte Kulturminister Josef Ostermayer ausgerechnet den Anwalt Angermair, die Mitverantwortung von Hartmann zu prüfen. Der in die Enge getriebene Direktor versuchte dem Ergebnis zuvorzukommen: Am 10. März legte Hartmann sein Amt „tief getroffen von den öffentlichen Anfeindungen und Kampagnen“ vorübergehend nieder. Tags darauf entließ Ostermayer auf Empfehlung Angermairs den Burgtheaterdirektor.

Die Ereignisse begannen sich zu überschlagen. Georg Springer, der – im Gegensatz zu Hartmann – bereits am 27. Februar eine Mitverantwortung an der Krise eingeräumt hatte, gab zunächst alle Aufsichtsratsfunktionen ab, am 23. Juni kündigte er seinen Rücktritt mit Ende Juni an, sechs Monate vor Ablauf seines Vertrags. Seither schweigt er beharrlich.

Kapitel 12: Kulturpolitischer Auftrag

Von Stantejsky und Springer gibt es nur wenige Stellungnahmen. Am 28. Jänner bestritt Stantejsky, die sich als „Sündenbock“ und „Bauernopfer“ sieht, im Interview mit Ö1 alle Vorwürfe: Springer wie auch der Aufsichtsrat seien „von sämtlichen buchhalterischen Entscheidungen informiert“ worden.

Und Springer hält in einer Stellungnahme fest, dass die Kontrolle durch die Aufsichtsräte und das Kulturministerium „in keiner Weise eingeschränkt“ gewesen sei. Ein ausgeglichenes Ergebnis hätte zu empfindlichen „Einschränkungen des kulturpolitischen Auftrags geführt, was im Widerspruch zum ausdrücklichen Auftrag der zuständigen Bundesministerin gestanden wäre“.

Das war wohl der Deal gewesen für seine nochmalige Vertragsverlängerung: Springer hielt den Deckel drauf und ließ die Kuh nicht aus dem Stall, obwohl er wusste, dass es sich nicht ausgehen kann. Er ließ sich vom Versprechen blenden, dass es frisches Geld geben werde. Dem Strategen wurde zum Verhängnis, dass er nicht loslassen konnte. Wäre er Ende 2011 mit 65 Jahren in Pension gegangen: Er wäre in Ehren verabschiedet worden.

Kapitel 13: Die Generalversammlung

In der Folge analysierte Angermair nicht nur den desaströsen Rechnungshofbericht über die Holding, sondern auch die Protokolle der Aufsichtsratssitzungen. Er sollte die Verantwortlichkeiten prüfen. Niemand sei sakrosankt, hatte Ostermayer gesagt. Doch Angermaier gab keine weiteren Empfehlungen mit Tragweite ab.

Weder gegen Claudia Schmied, noch gegen Michael Franz, der als Sektionschef für die Bundestheater verantwortlich war und ist, wird vorgegangen. Selbst die Aufsichtsräte der Burg und der Holding haben nichts zu befürchten: „Aus den Protokollen sehe ich keinen Anhaltspunkt für ein fahrlässiges Verhalten“, sagte Angermair.

Wolfgang Zinggl, Kultursprecher der Grünen, meinte, das Gutachten würde lediglich dazu dienen, „die Verantwortung des Ministeriums, der Ministerin und der beteiligten Kulturmanager zu reduzieren“.

Doch eines wurde übersehen: Einmal im Jahr hat es eine Generalversammlung zu geben. Sie besteht aus allen Gesellschaftern und der Geschäftsführung, im Falle der Bundestheater also aus den Eigentümervertretern und dem Holding-Chef. Die Geschäftsführung ist an die Weisungen der Generalversammlung gebunden. Wir wissen nicht, ob Springer die Eigentümervertreter über die Finanzlage informierte. Und wir wissen auch nicht, welche Weisungen es gab.

Vielleicht würde sich aus den Protokollen eine neue Faktenlage ergeben. Aber Angermair wurde nicht beauftragt, sich diese Unterlagen anzuschauen. Und er tat es auch nicht.

Epilog: Verbrannte Erde

Die Politik ist derzeit fein raus. Sie hat es geschafft, dass Stantjsky zwischen Hartmann und Springer zerrieben wurde. Sie hat es geschafft, dass Springer ein gebrochener Mann ist. Sie hat es geschafft, dass Hartmann, in seinem Stolz tief verletzt, einen Feldzug der verbrannten Erde führt – und sich auch nicht scheut, seine interimistische Nachfolgerin Karin Bergmann, bestellt am 19. März, in Misskredit zu bringen.

Und Ostermayer geht als Sieger hervor. Er relativierte die Verantwortung der Aufsichtsräte und der Politik. Er hat das Problem souverän gelöst. So sagt man jedenfalls.

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