Bundestheater: Perfide Kulturpolitik
Die österreichischen Bundestheater haben sich dem Diktat der knappen Budgets zu beugen. Franz Welser-Möst trat als Generalmusikdirektor der Staatsoper zurück, Karin Bergmann soll das Burgtheater aus der Finanzkrise führen. Kommentar für die Schweizer Zeitschrift “Musik & Theater“.
In den letzten Jahrzehnten war die Wiener Staatsoper ein Luxuskreuzer, der unbeirrt von den tobenden Stürmen der Wirtschaftskrise die Ozeane durchschnitt. Und Dominique Meyer, Direktor seit 2010, setzte den Erfolgskurs, den sein Vorgänger Ioan Holender eingeschlagen hatte, fort: Auch er riskierte nicht viel, aber er sorgte allabendlich für ein volles Haus. Ihm gelang sogar, die Auslastung noch einmal zu steigern – auf über 99 Prozent.
Doch plötzlich geriet selbst dieses Traumschiff ins Schlingern. Anfang September erklärte Franz Welser-Möst seinen Rücktritt als Generalmusikdirektor. Wenige Tage später wurde zudem bekannt, dass Bertrand de Billy nicht mehr dirigieren wird. Das Kapitel Staatsoper sei für ihn abgeschlossen, sagte er – jedenfalls für die Dauer der Amtszeit von Meyer.
Grund war ein Zwist im März dieses Jahres: De Billy wollte eine durchaus übliche Streichung im „Lohengrin“ nicht akzeptieren – und legte daraufhin die musikalische Leitung der Premiere nieder. Das ärgerte Meyer: Er liess de Billy wissen, dass er zwar weiterhin im Repertoire dirigieren könne, was er wolle, aber nicht mehr die bereits fixierten Neuproduktionen. Und das wiederum konnte der französische Dirigent nicht akzeptieren. Meyer, eigentlich ein konzilianter Mensch, erklärte, dass er Partner brauche, die hundertprozentig loyal sind. Er müsse sich sicher sein können, dass eine Abmachung hält. Dieses Vertrauen hätte er nicht mehr gehabt.
Den Rückzug von de Billy wird die Staatsoper leicht verkraften, den Rücktritt des Generalmusikdirektors hingegen nicht. Denn Welser-Möst hätte in der kommenden Saison insgesamt 34-mal am Pult stehen sollen, darunter bei den Premieren von „Rigoletto“ und „Elektra“. Und er wäre sicherlich, wie in der Vergangenheit öfters, eingesprungen, wenn Not am Mann ist.
Welser-Möst nahm seine Aufgabe ernst: Seiner Überzeugung nach sollte jede Vorstellung die Qualität der Premiere haben. Darin war er sich zwar mit Meyer einig, es gab aber trotzdem immer wieder Differenzen. Über Details wollte sich Welser-Möst nicht auslassen, er sagte nur: „Da geht es um Sänger und Dirigenten, da geht es um den ganzen Bereich, der die künstlerische Ausrichtung des Hauses ausmacht.“ Er sah schliesslich keine andere Möglichkeit, als die Konsequenzen zu ziehen.
Dass er kompromisslos ist, hat Welser-Möst mehrfach bewiesen. Im Dezember 2012 zum Beispiel sagte er kurzfristig seine Mitwirkung am neuen Mozart-Da-Ponte-Zyklus der Salzburger Festspiele ab, da der damalige Intendant Alexander Pereira seiner Meinung nach zu viele Aufführungen in zu kurzer Zeit angesetzt hatte. Die Sänger könnten sich in den kurzen Pausen nicht erholen, die Vorstellungen würden nicht das Niveau haben können, das ihm vorschwebt. Die Stimmung zwischen Pereira und Welser-Möst, die in den 1990er-Jahren für einen Höhenflug der Zürcher Oper gesorgt hatten, kühlte daraufhin merklich ab.
Doch es gibt wirtschaftliche Zwänge – und die sind an der Staatsoper noch viel grösser als bei den Salzburger Festspielen. Der Rotstift ist derzeit der Taktstock.
Schuld daran hat die Kulturpolitik. Im Herbst 1999 wurden die Bundestheater, also die Staatsoper, die Volksoper und das Burgtheater, ausgegliedert. Im Gesetzesentwurf war die „Basisabgeltung“ mit 133,65 Millionen Euro wertgesichert festgeschrieben worden. Doch dann strich die Regierung das Wort „wertgesichert“. Die jährliche Dotierung wurde lange nicht angehoben beziehungsweise danach nur marginal. Sie blieb also mehr oder weniger „gedeckelt“, wie man in Österreich sagt. Aber Jahr für Jahr stiegen die Personalkosten. Perfiderweise war die Politik für beide Faktoren verantwortlich: Sie verhandelte die Gehaltserhöhungen für die Beamten, die sich fast eins zu eins auf die Bundestheater auswirkten – und sie verweigerte gleichzeitig eine Indexanpassung.
Das konnte sich irgendwann nicht mehr ausgehen. Die Staatsoper hatte aufgrund der extremen Spargesinnung von Holender anfangs hohe Rücklagen. Sie bekommt erst jetzt ernsthafte Probleme – auch deshalb, weil man die Einnahmen bei einer Auslastung von 99 Prozent nicht mehr steigern kann.
Das Burgtheater hingegen schlitterte schon 2008 ins Defizit: Silvia Stantejsky, damals zur kaufmännischen Geschäftsführerin bestellt, bezifferte den zusätzlichen Bedarf einst mit 3 bis 3,5 Millionen Euro. Zudem müsse die Inflation abgegolten werden: „Wenn nicht, bleibt es Jahr für Jahr eine Zitterpartie.“
Doch Matthias Hartmann, Direktor ab 2009, zündete ein Feuerwerk an Premieren. Karin Bergmann, 1986 mit Claus Peymann ans Burgtheater gekommen, war klar, dass sich all das, was der neue Chef wollte, finanziell nicht realisieren lassen könne. Aber Hartmann wollte nichts von Kassandrarufen wissen: Er etablierte die Junge Burg, mit deren Leitung er seine Schwester und seinen Schwager beauftragte. Und er holte die Truppe von Jan Lauwers, die Needcompany, als Artists in Residents ans Haus. Entgegen ihren Plänen ging Bergmann bereits nach dem ersten Hartmann-Jahr in Pension: Wenn man merke, dass man auf taube Ohren stosse, sagte sie, „dann geht man besser“.
Sie war auch von Stantejsky enttäuscht, die, ihrer Meinung nach, zu willfährig agierte: Die Geschäftsführerin habe versucht, alle Wünsche von Hartmann zu erfüllen, statt ihm Einhalt zu gebieten. Und so kam es, wie es kommen musste: Stantejsky frisierte, damit jeden Abend der Vorhang hochgehen konnte, die Bilanzen. Erst Ende 2013 fielen ihre „dolosen“, also strafbaren Handlungen auf. Stantejsky wurde fristlos entlassen, im März 2014 ereilte Hartmann, der nach wie das Unschuldslamm spielt, das gleiche Schicksal.
Interimistisch wurde Karin Bergmann zur Direktorin berufen, die Zustimmung im Haus war gross. Bergmann setzte sogleich eine Reihe von Sparmassnahmen. Nun, Mitte Oktober, wurde sie definitiv bis 2019 bestellt. Eine bessere Entscheidung hätte Kulturminister Josef Ostermayer kaum treffen können. Aber die wichtigste Aufgabe hat er noch vor sich: die deutliche Anhebung der Basisabgeltung. Denn ohne diese schlittert auch die Staatsoper ins Finanzdilemma.