Ursula Strauss: “Ich will meine Wahrheit leben”
Am 25. April 2015 verleiht der KURIER wieder den Publikumspreis “Romy”. Bis 27. März kann man mit Postkarte oder online seine Lieblingstars wählen. Nominiert in der Kategorie “Beliebteste Schauspielerin Serie/Reihe” ist unter anderem Ursula Strauss. Hier ein Interview, das ich mit der Schauspielerin am 25. Juli 2014 über Schönheit, „Schnell ermittelt“, ihr Kochbuch mit Familienrezepten und das Festival „Wachau in Echtzeit“ führte. Das Interview erschien in Heft 4/14 der Kulturzeitschrift “morgen”. –
Sie liebten als Kind Rollenspiele. Die Idee, Schauspielerin werden zu wollen, kam Ihnen aber damals noch nicht in den Sinn?
Als Vier- oder Fünfjährige hab’ ich nicht ahnen können, dass es diesen Beruf gibt. Ich wusste nur, dass ich mich im Spielen viel sicherer fühl‘, als wenn ich mit mir durch die Welt renne. Im Kindergarten war mein Lieblingsplatz die heiß umstrittene Puppenecke. Auch daheim hab‘ ich mich stundenlang mit meinen Puppen beschäftigen können. Ich hab‘ Geschichten erfunden, ich bin in Rollen, in andere Gewänder geschlüpft.
Welche Figuren waren Ihnen am liebsten?
Das Krippenspiel: Das war meines. Als ich zwölf war, haben wir Stiftgymnasium in Melk einen Raimund inszeniert. Ich sollte eine alte Frau spielen – und ich hab‘ sie sofort nachmachen können. Mein Deutschlehrer war richtig irritiert. Ich hab bei allen Sketches mitgemacht, zum Beispiel von Karl Valentin. Es war mir völlig egal, ob ich eine Frau spielte, einen Clown oder einen B’soffenen. Die Eltern einer Kindergartenfreundin haben einmal nach einem Auftritt von mir g’sagt: „Dir ist nix z’deppert.“ Ich hab’ g’wusst, das war kein Kompliment, eigentlich eine Frechheit, aber ich hab’ mir gedacht: „Ja, genau! Stimmt! Und offensichtlich habt Ihr mehr Probleme damit als ich.“
Trotzdem haben Sie es sich nicht zugetraut, nach der Unterstufe eine Schauspielschule zu besuchen?
Ich machte zwar daheim in Pöchlarn Schattentheater, ich spielte bei den Pfadfindern, aber es gab keine wirklichen Berührungspunkte mit dem Theater. Es gab auch keine Förderkurse. Das Theater war eine fremde Welt. Mit 14 verließ ich das Stift und ging auf die Kindergärtnerinnenschule in Amstetten. Ich wusste nur: Das Spielen ist mein Ausdrucksmittel. Erst mit 17 hab‘ ich mir zum ersten Mal laut auszusprechen getraut, Schauspielerin werden zu wollen.
Ihr Bruder Michael, der damals in Wien Musik studierte, soll Sie motiviert haben.
Er war der einzige, der sich nicht dachte, dass ich komplett spinne. Er sagte: „Ja, mach’ das! Bewirb Dich!“ Und er fragte Alexander Hauer, der damals in Melk die „Plattform Theatermühle“ leitete: „Du, meine kleine Schwester möcht‘ so gern Theater spielen. Hast nicht was für sie? Blumen über die Bühne tragen oder so?“ Er stellte mich dem Xandl vor – und plötzlich hab’ ich parallel zur Matura die Lady Macbeth gespielt. Das hat mir wahnsinnig getaugt. Aber ich hatte keine Ahnung, was ich da tat. Ich hatte keine Ahnung von der Psychologie der Figur und dem In-die-Tiefe-gehen. Vielleicht war dieses Nichtwissen, an was ich mich da herangewagt hatte, ein guter Schutz. Ich hab‘ die Rolle einfach g’spielt. Es gab auch keinen Druck. Ich wusste ja nicht, ob ich entsprach, ob ich gut genug war. Nach der Premiere wusste ich nur: „Das möcht’ ich machen, so möcht’ ich leben!“ Ich war richtig euphorisch.
Mit dem Reinhardt Seminar hat es allerdings nicht geklappt.
Weil ich schlecht, verkrampft war. Dort ist genau das passiert, was ich davor nicht gekannt hab‘. Plötzlich war der Druck da, diese Vergleichsmöglichkeit. Ich war eben nicht die Einzige auf der Welt, die Schauspiel studieren wollte. Da waren 600 hungrige, talentierte Leute, die super angezogen sind und genau wissen, was sie wollen. Ich – aus der Klosterschule in Amstetten – hab’ mich einfach gefürchtet und geniert. Ich wär‘ am liebsten in ein Mausloch verschwunden. Und dann steht da Klaus Maria Brandauer. „Wo kommen Sie her?“ – „Aus Pöchlarn.“ – „Aha.“ Da hätte ich eigentlich schon sagen können: „Danke – und Tschüss!“
Zuvor aber hatten Sie sich erfolgreich für die Schauspielschule am Volkstheater beworben.
Ja, und ich wurde genommen. Dadurch war ich am Reinhardt Seminar aber nicht lockerer. Ich war einfach überfordert von dieser Pracht an Geschichte und Bau und Menschen. Puh. Das war mir alles zu viel.
Das war 1993. Sie spielten einige Jahre Theater und in einigen Filmen mit, darunter in „Böse Zellen“ und „Fallen“ von Barbara Albert. Und plötzlich ging alles ziemlich rasant. Denn 2008 kamen „Revanche“ von Götz Spielmann – und die Serie „Schnell ermittelt“ mit Ihnen als Chefinspektorin Angelika Schnell.
Sowohl in „Revanche“ als auch in „Schnell ermittelt“ war Andreas Lust Ihr Partner.
Ja, das ging dann schnell. Andreas und ich hatten gerade die ersten beiden Folgen für „Schnell ermittelt“ gedreht, dann standen wir als das Paar in „Revanche“ fest, und danach drehten wir weiter „Schnell ermittelt“. Andreas und ich haben uns über die gemeinsame Arbeit sehr gut kennengelernt. Es ist eine echte Freundschaft geworden. Andreas erklärt das gerne so: Es kommt ihm vor, als sei ich eine Ex-Beziehung von ihm, ohne dass wir jemals etwas miteinander gehabt hätten.
Was drehen Sie lieber: Eine Serie oder einen Film?
Das ist schwer zu vergleichen. Es kommt immer auf die Konstellation an. „Schnell ermittelt“ war unglaublich geil – und unfassbar anstrengend. Ich war jeden Tag von früh bis spät am Set. Manchmal haben wir bis zu vier Folgen gleichzeitig gedreht. Da muss man dauernd die Handlungen im Kopf haben! Aber das Schöne war, dass wir eine Figur entwickeln durften. Wir haben von der ersten bis zur 40. Folge die Geschichte einer Frau und Mutter erzählt. Das war ein echtes Geschenk.
Dass die Hauptfigur kontinuierlich älter wird, ist selten in einer Serie. Bis 2012 wurden vier Staffeln gedreht, danach drei Fernsehfilme mit je 90 Minuten. Wird die Serie weitergehen?
Ich liebe die Figur der Angelika Schnell. Ich hätte kein Problem damit, sie weiterhin zu spielen. Die Serie war auch im Ausland sehr erfolgreich. Aber ich weiß nicht, wie sich der ORF entscheidet. Im Herbst drehen wir zumindest wieder einen 90er.
Es stört Sie auch nicht, mit der Chefinspektorin identifiziert zu werden?
Nein, ich steh’ total zu dem, was wir da entwickelt haben. Zum Glück werde ich aber auch mit anderen Projekten identifiziert.
In Elisabeth Scharangs berührendem Film „In einem anderen Leben“ spielten Sie eine Bäuerin, die sich in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs um Juden aus dem KZ Mauthausen kümmert.
Der Film ist meiner Oma gewidmet. Ich muss echt auf Holz klopfen. Denn es passiert nicht so oft, dass man derart verschiedene Rollen überantwortet bekommt. Es gibt so viele Schauspieler in diesem Land. Mir ist bewusst, dass ich großes Glück gehabt hab‘.
Was ist der Grund? Ihre Natürlichkeit?
Ich weiß nicht. Es macht mir weder etwas aus, eine Bäuerin zu spielen, noch teure Fetzen zu tragen. In „Racheengel“ von Andreas Prochaska war ich ja eine Frau aus schwerreichem Haus. Sie wurde in einer komplett anderen Umgebung sozialisiert als ich. Aber dieses Sich-reindenken-können in die verschiedenen Lebensumstände verursacht mir keine Schwierigkeiten. Und der zweite Vorteil ist vielleicht, dass mein Gesicht wandelbar ist. Sagt man mir jedenfalls.
Sie haben ein entspanntes Verhältnis zu Schönheit?
Ich kenne nicht den Zwang, schön sein zu müssen. Eben weil ich nie die Schönheit der Nation war. Was nicht heißt, dass ich nicht eitel bin. Natürlich will auch ich, dass man die besseren Fotos von mir verwendet. Generell lastet ein irrsinniger Druck auf uns Frauen. Interessanterweise ist der Druck gerade unter Frauen so extrem. Männer haben oft gar kein Problem mit dem Aussehen der Frauen. Wir werden eben älter und bekommen Falten. Ich rede noch leicht, ich bin gerade 40 geworden. Aber ich möchte in Würde altern dürfen. Natürlich: Je älter Frauen werden, desto schwieriger wird es, Rollen zu kriegen. Das liegt an dieser Gesellschaft, die schönheitssüchtig ist. Ich werde mich aber nicht liften lassen, nur um irgendwelche Rollen spielen zu können – sondern würde mir, falls ich keine Angebote mehr bekäme, was anderes überlegen. Ich will meine Wahrheit leben. Und dazu gehören eben auch Falten. Ich glaube auch nicht, dass es durch Schönheitsoperationen besser wird. Denn man ist dann in einem Teufelskreis gefangen. Man muss Kontrapunkte setzen und zeigen, dass man nicht perfekt sein muss. In unserer Zeit führt der Perfektionswahn zu so vielen Krankheiten, zu psychischen Belastungen und Essstörungen, die nicht sein müssten. Das Perfekte ist glatt und langweilig, das Nicht-Perfekte macht ein Gesicht spannend! Alter Maskenbildnertrick: Wenn ein Gesicht sehr symmetrisch ist, klebt man den Bart ein bisschen seitlich hin – einfach um Spannung zu erzeugen.
Sie sagten in einem Interview, Existenzängste seien früher ein ständiger Begleiter gewesen. Ist das der Grund, warum Sie derart viel arbeiten?
Nein. Das Faszinierende derzeit sind die vielen unterschiedlichen Projekte. Ich hab mir gewünscht, eine historische Rolle zu verkörpern – und in Englisch zu drehen. Und beides ist zum gleichen Zeitpunkt eingetreten. Das ging nur, weil ich weder in dem einen, noch in dem anderen Film die Hauptrolle spiel‘. Aber es führt dazu, dass man viel im Flieger sitzt. Dazwischen bleibt kaum mehr Zeit, die Eltern zu besuchen, auszuschlafen, die Wäsche zu waschen. Und schon muss man sich wieder überlegen: Wie schaffe ich es, nicht mehr mit einem so schweren Koffer unterwegs zu sein?
In welchen Filmen wirken Sie denn gerade mit?
In Deutschland entsteht eine Biografie über die Puppenmacherin Käthe Kruse, ich spiel‘ die Mutter. Meine Altersmaske ist ein Wahnsinn! In Bukarest und Wien wurde ein Science-Fiction-Film gedreht. Ich spielte eine Neurowissenschaftlerin, es geht um den Verlust der Individualität. Mehr kann ich jetzt nicht erklären, das ist zu kompliziert.
Obwohl Sie derart eingespannt sind, haben Sie nun auch – zusammen mit Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky – die Präsidentschaft der Akademie des Österreichischen Films übernommen.
Teil dieser Runde sein zu dürfen, empfinde ich eine große Ehre. Ich finde auch, dass es sich gehört: Wenn man im Filmbereich so viel arbeiten durfte und darf, dann hat man etwas zurückzugeben. Es ist schön, für die Sache Film stehen zu dürfen. Niederösterreich und Wien fördern den Film zwar sehr gut, das Film/Fernsehabkommen mit dem ORF wurde vor kurzem unterzeichnet, aber es gibt genügend Schwierigkeiten. Es steht insgesamt weniger Geld zur Verfügung, mehrere Kostümfundus haben zugesperrt, und es gibt kein großes Studio, um internationale Produktionen anzulocken. Wir müssen noch viel Überzeugungsarbeit leisten.
Zudem sind Sie Intendantin des Festivals „Wachau in Echtzeit“. Sind Sie noch Herrin Ihres Lebens?
In den letzten Wochen nicht mehr so wirklich, aber ansonsten funktioniert das ganz gut. Weil die verschiedenen Projekte aufs ganze Jahr verteilt sind. Die Verleihung der Österreichischen Filmpreise zum Beispiel findet im Jänner statt, das Festival im November. „Wachau in Echtzeit“ ist ja kein riesiges Ding. Und ich hab’ ein Jahr Zeit, mir zu überlegen, was ich machen möchte. Außerdem hab ich ein Team an meiner Seite. Verträge zu machen: Das ist nicht meines.
Ach ja, ein Kochbuch haben Sie auch noch geschrieben. Wie kam es denn dazu?
Man stolpert in solche Sachen. Nie im Leben wär ich auf die Idee gekommen, ein Kochbuch zu machen. Ich erhielt vom Residenz Verlag ein Mail, nur eine Zeile: „Wir kennen uns aus dem Volkstheater, wir müssen uns treffen.“ Und so haben wir uns in Melk getroffen. Die Grundidee war, glaub’ ich, ein „Schnell ermittelt“-Kochbuch. Mit „Schnell ermittelt“ muss man allerdings vorsichtig umgehen, es bietet sich vieles an. Aber es war eine ernsthafte Arbeit. Das Buch ist zusammen mit meiner Mutter entstanden, auch meine drei Brüder und meine Schwägerinnen haben mitgeholfen. Wir sind eine Familie, die gerne isst. Und wir kommen gerne zum Essen zusammen.
Sie haben wirklich 50 Gerichte an zwei Tagen gekocht und gegessen?
Ja. Wir haben alle Gerichte selber gekocht – in einer abartigen Geschwindigkeit. Und meine Familie fiel wie Ameisen über alles her. Meine Mama kocht täglich, ich koche leidenschaftlich, aber wir haben keine Ahnung von Organisation in der Küche. Aber der Ablauf hat sich gut ergeben. Ich konnte zum Schluss nicht mehr stehen!
Sie stellen in „Mir schmeckt’s!“ ausschließlich Familienrezepte vor?
Ich kann nicht so tun, als könnte ich jetzt Sterneküche machen, das wäre Quatsch. Das Buch ist ganz authentisch. Für die Fotos wurden auch unsere Sachen verwendet: eine alte Schüssel zum Beispiel – oder ein G‘schirrtuch aus den 70er-Jahren. Zwischendurch hab’ ich das Kochbuch verflucht, weil es wirklich viel Arbeit und Neuland war. Aber es ist genau das aufgegangen, was ich mir vorgestellt hab‘. Denn nun schreiben uns Leute: „Das ist wie bei uns daham.“ Jetzt bin ich echt glücklich darüber.
Copyright: Thomas Trenkler 2014/2015
Sehr gutes Gespräch.
Gut vorbereiteter Interviewer.
Bei Dr Trenkler selbstverständlich.