Otto Lechner: “Ich bin ein praktischer Mensch”
Zum Advent gehören einfach die Weihnachtslieder in der Bearbeitung von Otto Lechner und Klaus Trabitsch. Drei Alben sind erschienen: Ein gar nicht stilles “Still” (1996), “White” mit schwarzem Cover (2000) und die Live-CD “Fürchtet euch nicht”. Für den Akkordeonisten Otto Lechner ist das Projekt nun ausgereizt. Warum? Das erklärt er in einem Interview, das ich mit ihm und der Schauspielerin Anne Bennent am 22. Mai 2013 führte. Die beiden bewohnen in Gars am Kamp ein verwunschenes Landhaus. Das Interview erschien in Heft 3/13 der Kulturzeitschrift “morgen”. –
Sie lebten jahrelang in Wien beim Augarten. Was hat Sie 2009 bewogen, hierher nach Gars am Kamp zu siedeln?
Otto Lechner: Ich hab hier in der Gegend einen guten Bekannten, den Dieter Graf vom Kulturzentrum Wachtberg. Dort hab ich immer wieder Konzerte gespielt. Mit Anne und unserem kleinen Sohn Felix hab ich auch einen Ausflug hierher gemacht, wir waren ein paar Tage da. So war uns die Gegend ein wenig vertraut. Und dann ist in einem „Bazar“ ein Bild von diesem Haus aufgetaucht.
Anne Bennent: Wir lebten am Tabor. Zuerst dachte ich, das ist die trostloseste Gegend, die ich je gesehen habe. Aber dann hat sie sich als eine der schönsten erschlossen, in denen ich je gewohnt habe. Auch wegen des Volkertmarkts, der nicht so überlaufen ist wie der Karmelitermarkt. Man trifft nicht alle fünf Minuten einen Künstler, den man kennt, aber dessen Namen man nicht weiß. Auf diesem Markt geht es ein bisschen zu wie in einem Hafen. Viele serbische, türkische, jüdische Menschen. Komischerweise ist es dort auch oft windig. An einem Tag, an dem ich mit meinen Kindern, also auch mit meinem älteren Sohn, auf dem Spielplatz war, flog mir ein Blatt vom „Immobilien-Bazar“ ins Gesicht. Ich hatte dieses Haus auf der Nase. Es hat so französisch gewirkt, denn vor dem Haus standen zwei Bäume, die wie Zypressen aussahen. Das hat mich angesprochen. Ich las „Gars am Kamp“: Da waren doch einmal! So hab ich mir die Anzeige ausgeschnitten. Später waren wir noch einmal bei Dieter Graf. Ich wollte den Makler anrufen, hatte aber die Telefonnummer weggeschnitten. Ich steckte das Inserat wieder ins Portemonnaie. Das war im Frühling. Im Sommer waren wir in Bulgarien. Immer, wenn ich zahlte, sah ich das Haus. Im Herbst dann kaufte ich einen „Bazar“. Das Haus wurde noch immer angeboten, es war sogar billiger geworden. Nun rief ich an. Der Makler sagte, es liege gegenüber vom Bahnhof. Und dann haben wir es uns eben angeschaut.
Otto Lechner: Es war für mich eine wirklich spannende Besichtigung. Denn alles war ziemlich verrammelt. Man ist bei einer Tür reingegangen, ein paar Stufen rauf oder runter, dann wieder durch eine Tür. Auf mich hat’s unglaublich groß gewirkt. Weil es so kompliziert zu begehen war, konnte ich mir kein Gesamtbild machen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie die Zimmer zueinander liegen. Es hatte für mich den Charakter eines kleinen Schlösschens – und ich war gleich beeindruckt.
Da Sie seit Ihrem 15. Lebensjahr blind sind, muss es für Sie auch schwierig gewesen sein, sich das Terrain am Berghang zu erschließen.
Otto Lechner: Freihändig die Steinstiegen zu bewältigen: Das waren am Anfang heikle Expeditionen. Das hat also schon eine Weile gedauert.
Warum dann das Ganze?
Otto Lechner: Na ja, ich bin ein praktischer Mensch – und der Bahnhof ist in der Nähe. Ich dachte mir: Wenn ich jetzt nicht „ja“ sag zu diesem Haus, dann brauchen wir gar nicht mehr darüber zu spekulieren, einmal auf Land zu ziehen. Denn idealer geht es nicht mehr.
Sie hatten den Wunsch, aufs Land zu ziehen?
Anne Bennent: Nicht konkret. Ich hatte nie einen fixen Platz, meine Eltern waren immer unterwegs. Wir suchten zwar öfters ein Haus. Und wir Kinder freuten uns schon: „Ein Haus mit Garten!“ Aber letztendlich war mein Vater zu ängstlich: „Wenn ich mein ganzes Geld da hineinstecke, dann hat mich das Haus, dann komm ich nicht mehr weg.“ In der letzten Minute, kurz vor der Unterschrift, hat er es immer schlecht geredet: „Nein, wir sind frei, wir reisen, und die anderen sollen in ihren Häusern sitzen.“ Von einem Haus hab ich aber weitergeträumt, zum Beispiel im Zug: Mein Gott, das wär doch schön! Oder wenn man eingeladen wird: Was die Künstler, mit denen ich gearbeitet habe, für Häuser haben! Die schönsten Häuser! Du wirst da grün vor Neid. Ich hatte diesen Widerspruch in mir: Einerseits wollte ich mich nicht festsetzen, andererseits gab es die Sehnsucht – auch nach dem Land. Wenn du Kinder hast, hältst du es in der Stadt nicht mehr aus. Denn sie können dort nicht überall ohne „Aufsicht“ herumlaufen. Hier aber schon.
Otto Lechner: Das war auch für mich ein wesentliches Argument. Ich bin in Gansbach aufgewachsen und find das Leben in einem Dorf an und für sich schrecklich. Aber als Kind war es für mich schon gut. Obwohl ich ganz schlecht g’sehn hab, konnte ich überall allein herum. Ich konnte sogar mit dem Rad fahren. Ich war frei. Und das hab ich mir auch für unseren Sohn gewünscht.
Sie sollen sich bei einem Verlagsfest kennengelernt haben, zu dem Sie beide eigentlich gar nicht hingehen wollten. Stimmt das?
Anne Bennent: Ja. Der Residenz Verlag feierte ein Jubiläum im Ronacher. Hans Neuenfels, mein geliebter „Käthchen von Heilbronn“-Regisseur, bat mich, ein Gedicht vorzulesen. Eigentlich hatte ich keine Lust dazu. Trotzdem saß ich am Nachmittag der Veranstaltung mit ihm und dem Musiker Hans Georg Koch in einer Hotelbar, sie phantasierten ziemlich angeheitert über die Gestaltung des Abends. Da sagte der eine: „Wir brauchen noch etwas Besonderes!“ Und der andere sagte: „Ich kenne einen Akkordeonisten.“
Otto Lechner: Koch rief mich an und fragte, ob ich Zeit hätte. Ich hatte zwar keine Lust zum Spielen, aber mir fiel keine Ausrede ein. Ich bin da einfach nicht aus’kommen. Den Abend fand ich entsetzlich. Ich spielte meine paar Stückln – und bin in der Pause mit einem Taxi in eines meiner Lieblingslokale.
Dann haben Sie Anne Bennent gar nicht kennengelernt?
Otto Lechner: Genau. Ich hab sie nur in der Gardarobe reden und das Gedicht lesen gehört. Und davor hatte ich ein Radiointerview mit ihr gehört. Das war mir schon sehr sympathisch gewesen.
Anne Bennent: Ich hingegen kannte ihn nicht, ich hab von ihm auch nichts in der Gardarobe gemerkt. Nach meinem Gedicht wollte ich gehen. Aber dann hieß es, dass Otto Lechner spielen würde. Die Inspizientin ging mit einem Mann an der Hand auf der Bühne. Da wurde ich neugierig. Und dann horchte ich auf. Ich bin verliebt in Akkordeonisten. Manchmal spaziert man durch Städte, die man nicht kennt, hört von irgendwoher ein Akkordeon – und geht einfach hin. Ich hörte einmal einen Akkordeonspieler in einer Fußgängerzone. Wenn er „Komm mit!“ gesagt hätte: Ich wäre mitgegangen. Das Akkordeon ist ein richtiges Frauenfängerinstrument. Jedenfalls: Ich erarbeitete mir damals gerade eine neue Fassung von Christa Wolfs „Kassandra“. Ich wollte den Monolog nicht mehr mit der Musik von Michael Jarrell und mit großem Orchester machen. Als ich Otto hörte, wusste ich, das wäre eine Möglichkeit. Er spielte ganz anders als alle anderen Akkordeonisten, die ich bis dahin gehört hatte. Ich hab ihn am nächsten Tag angerufen – und ihm die Geschichte vorgeschlagen. Bald darauf haben wir uns bei ihm zu Hause getroffen.
Zusammengekommen sind Sie aber erst Jahre später.
Anne Bennent: Ja. Er hatte eine andere Frau, ich einen anderen Mann, ich hatte noch nicht einmal meinen älteren Sohn Anton, der 1999 auf die Welt kam.
Otto Lechner: Es war zunächst eine Freundschaft.
Anne Bennent: Wir sind viel herumgereist mit der „Kassandra“. Dann haben wir gemeinsam „Gwundrig“ von Robert Walser und viele Spaziergänge gemacht. Und da hat sich so etwas zusammengesponnen.
Otto Lechner: Man fährt zu Gastspielen und hat an den Nachmittagen ein paar Stunden Zeit.
Anne Bennent: Weg von zuhause, in einer fremden Stadt – und da ist man plötzlich wirklich zu zweit.
In der Folge sind noch die Hörbücher „Die Stimmen von Marrakesch“, „Der Gruftwächter“ sowie „Leila und Madschun“ entstanden. Gibt es ein nächstes Projekt?
Anne Bennent: Zusammen mit meinem Bruder David, mit Otto und vielleicht noch ein, zwei weiteren Musikern möchte ich „Die Sonne war ein grünes Ei“ von H.C. Artmann machen. Das könnte ein schönes poetisch-musikalisches Abenteuer werden.
Ihr jüngerer Bruder wurde u.a. durch die Verfilmung von „Die Blechtrommel“ bekannt. Sie wuchsen in einer Schauspielerfamilie auf. War es daher klar, dass auch Sie auf der Bühne stehen werden?
Anne Bennent: Eigentlich wollte ich als Kind Bäuerin werden, dann Malerin. Und dann wollte ich Marlene Dietrich sein. Es hat sich eben durch mein Umfeld ergeben, dass ich mitspiele. Ich merkte, welche Wirkung ich hab. Ein Kind wirkt ja gern. In der Pubertät hatte ich aber eine große Hoffnungslosigkeit. Denn wenn man einen großen Künstler zum Vater hat, glaubt man, dass die Schauspielerei nichts für einen ist, weil man diese Besessenheit nie entwickeln werde können. Das denke ich mir auch heute noch. Ich habe eine riesige Ehrfurcht vor wirklichen Schauspielern. Aber ich wusste zumindest, dass ich eine Fähigkeit zum Verwandeln habe. Und irgendwann hab ich ein Gefühl für Sprache gefunden. Deutsch war anfangs, in Lausanne, wo ich geboren wurde, fast eine Fremdsprache – und die Autoritätssprache des Vaters. Ich habe mir Deutsch – im Gegensatz zu meiner Muttersprache, zum Französischen – erst erarrrbeiten müssen. Das war richtig eine Eroberung. Hinzu kam, dass ich als Kind nur ein bisschen Unterricht bei meiner Mutter hatte, der Rest bestand aus Spielen, Reisen, Schauen, Träumen und Zuhören, wenn mein Vater Rollen auswendig lernte. Irgendwann stellte ich fest: Ich weiß von der Welt der Schule und dem, was man da alles wissen muss, nichts. Da verlasse ich lieber nicht die Welt des Theaters, in der ich beeindrucken und wirken kann.
1990 kamen Sie ans Burgtheater, Sie begeisterten in vielen großen Rollen. Sie sollen 2003 ausgestiegen sein, weil Sie den permanenten Betrieb nicht mehr wollten.
Anne Bennent: Ich hatte großes Glück, dass ich all diese Figuren spielen konnte: die Penthesilea, das Käthchen, die Alkmene und so weiter. Das empfand ich als ein Wunder. Und dann hat sich das Glück ein wenig gedreht. 1997 spielte ich in „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“ von Peter Handke mit. Claus Peymann, der Direktor, führte Regie. Die Probenzeit war so lang, dass man sich am Ende nicht mehr hören und sehen konnte. Wenig später, 1999, lief Peymanns Vertrag aus, er übernahm das Berliner Ensemble. Ich hatte nie die Absicht, an ein bestimmtes Theater zu gehen. Mich hat immer eine Rolle irgendwohin geholt – so hatte sich das auch mit Wien ergeben. Daher fragte ich Peymann nicht: „Könnte ich mit ans Berliner Ensemble kommen?“ Und auch er hat mich nicht gefragt. Also blieb ich am Burgtheater. Aber unter Klaus Bachler wurde ich befangen. Er ist kein Mann, der einer Schauspielerin das Gefühl zu geben vermag, einzigartig und begehrt zu sein. Für mich hat Theater mit großer Liebe zu tun. Die fehlte mir immer mehr. Irgendwann sprach ich es aus: „Ich glaube, es wäre besser, ich würde wieder frei sein und wegfliegen.“ Im Burgtheater war man richtig erleichtert. Ich bin da, wo ich gebraucht werde.
Auch Sie, Herr Lechner, scheinen ein Naturtalent sein: Sie bekamen mit vier Jahren eine Ziehharmonika geschenkt – und begannen zu musizieren.
Otto Lechner: Durch den Sehfehler, der ein immer größerer geworden ist, hatte ich mehr Zeit als andere Kinder. Es gab eben nicht die Alternative des Fußballspielens. Aber ist es Talent? Ich denke mir: Wahrscheinlich würde es jeder, der so viel Zeit mit Musik verbringt, zu etwas bringen.
Glauben Sie wirklich? Sie hören eine Melodie – und können sie sofort nachspielen.
Otto Lechner: Das stimmt. Wenn ich im Radio ein Lied hörte, das mir gefiel, wollte ich es immer wieder hören. Aber das tut es im Radio nicht. Das heißt: Ich musste mir das Lied möglichst schnell merken, um es selber spielen zu können. Und was ich mir nicht gleich gemerkt hab, das ergänzte ich. Auf diese Art und Weise kriegst du einen sehr selbstverständlichen Zugang zur Improvisation – und auch zur Komposition.
Sie wurden u.a. mit Ihren wunderbar schrägen Bearbeitungen von Weihnachtsliedern bekannt. Wird es eine Fortsetzung geben?
Otto Lechner: Wir haben drei CDs gemacht, das Konzept – eben Lieder, die den meisten bekannt sind – ist jetzt wirklich ausgereizt. Manche Lieder gibt es auch in anderen Arrangements, man kann das eigentlich nicht mehr besser machen. Außerdem bin ich es nicht gewöhnt, so lange an einer Sache zu arbeiten. Aber es hat sich jetzt so etwas wie ein Osterschwerpunkt ergeben: Wir machen in der Karwoche im Theater Drachengasse die „Schmoizhodan-Passion“, basierend auf Wolfgang Teuschls „Da Jesus und seine Hawara“ und gespickt mit Austropop von Ambros und Danzer bis Georg Kreisler.
Sie konnten als Kind ein wenig sehen. Fällt es Ihnen daher heute leichter, sich etwas vorzustellen?
Otto Lechner: Ja, wenn es um die Gesamtheit geht. Es hilft, ein Objekt einmal gesehen zu haben, das man ansonsten nur mit den Händen stückerlweis’ begreifen kann. Also zum Beispiel, dass ein Tisch als Ganzes existiert.
Dieses Haus hier hat einen ganz sanften Lila-Ton. Sie können diese Farbe nicht sehen. Haben Sie trotzdem eine Vorstellung davon?
Otto Lechner: Nur eine geringe. Die Farbentscheidung hab ich Anne überlassen. Das war ein Prozess, der drei Monate gedauert hat. Kompliziert zu werden hat es begonnen, weil es kein schönes Schönbrunnergelb gab. Der Malermeister hat immer wieder eine neue Probe hingemalt. Und Anne hat immer wieder gesagt: „Das schaut entsetzlich aus.“
Anne Bennent: Das Gelb sollte verwaschen, lebendig ausschauen. Aber keine der Proben lebte mit dem Licht. Die einzige Farbe, die am Morgen anders ausschaut als am Abend, die sich mit dem Licht bewegt und mit den Jahreszeiten verändert, war eben diese seltsame Malven- oder Schnittlauchfarbe. Im Winter, wenn Schnee liegt, sieht sie viel dunkler aus. Und wenn die Sonne untergegangen ist, leuchtet sie für ein paar Minuten auf den Mauern nach. Das erinnert mich dann an meine Kindheit in Griechenland. Aber eigentlich kommt die Farbe von einem afrikanischen Geschäft auf der Heinestraße neben dem Augarten.
Haben Sie es bereut, richtig sesshaft geworden zu sein?
Anne Bennent: Nein. Wie mein Vater hatte ich Angst, ein Haus zu kaufen. Aber es war nicht so erschreckend, wie ich es mir früher als Ausrede vorgestellt hatte. Dieses Haus hat jemanden gebraucht. Wenn wir es nicht gekauft hätten, wäre es wahrscheinlich abgerissen worden. Es hat mich eben angeflogen und gesagt: „Komm und richte mich her!“ In Hotels oder in Wohnungen habe ich mich immer über unpraktische Dinge geärgert oder über Möbel, die nicht mein Geschmack sind. Und die Teppichböden haben mich traurig gemacht. Hier mussten wir alles neu machen. Ich hatte daher zum Beispiel die Möglichkeit, eine Dusche so zu installieren, wie ich mir eine gute Dusche vorstelle. Es hat drei Jahre gebraucht, das Haus herzurichten. Stück für Stück. Ich spielte ja länger nicht mehr Theater. Und als ich dann vergangenen Winter von hier aus nach St. Pölten gefahren bin: Diese wuchernde Basis hat mir schon eine große Sicherheit gegeben. Ich habe mich nicht gefürchtet.
Das war „Viel Lärm um nichts“ in der Regie von Roland Koch. Davor, 2008, haben Sie schon einmal in St. Pölten gespielt.
Anne Bennent: Ja, 2008 die Ranjewskaja im „Kirschgarten“. Das war meine erste Rolle, seit ich 2003 vom Burgtheater weggegangen bin. Aber da wohnten wir noch in Wien. Ich glaube, ich hab jetzt fast alle Weiber im „Kirschgarten“ durch: mit 15 spielte ich die Anja, später die Varja und die Dunjascha. Gibt es noch eine? Ach ja, die Charlotta. Die will ich auch noch spielen! Diese rätselhafte Person kann auch uralt sein.
Hat sich dieses Haus auch für Sie, Herr Lechner, als richtiger Ort herausgestellt?
Otto Lechner: Was ich hier kann und nie zuvor konnte: zu jeder Tages- und Nachtzeit singen oder Geige spielen, ohne jemanden zu stören. Dass so etwas überhaupt möglich ist: Darüber bin ich noch immer erstaunt. Ich bin hauptsächlich ein Live-Musiker und spiel ganz anders, wenn ich Publikum hab. In den Wiener Wohnungen dachte ich mir immer: Da wird wohl irgendjemand mithören. Ich übte daher anders. Denn wenn du etwas eine halbe Stunde lang wiederholst, weißt du, dass du jemandem auf die Nerven gehst. Ich übe hier zwar nicht mehr. Aber die Möglichkeit besteht zumindest. Und man muss nicht verbissen an einer Sache dranhängen, bis sie fertig ist.
Anne Bennent: Das Schöne ist, dass man nicht zum Arbeiten kommt – weil immer etwas zu arbeiten gibt, das wichtiger ist, zum Beispiel im Garten. Früher habe ich viel konzentrierter meine Rollen gelernt. Und hier lenkt mich immer etwas vom Lernen ab. Manchmal bekommt man natürlich eine Krise: „Ich komme nie zu meinem Beruf!“ Aber eigentlich ist es eine große Bereicherung: Man lernt so nebenbei und macht dabei unerwartete Entdeckungen.